Montag, 25. Juni 2012

"Ihr Veganer" - Das Problem mit der Klassifikation

Heute begann jemand in einem Gespräch einen Satz mit "Ihr Veganer". In mir regte sich spontan ein großer Widerwille, diese Formulierung unkommentiert stehen zu lassen.
Klassifikationen haben sicherlich insofern Sinn, als dass sie die Einordnung des Gegenübers erleichtern. Unterhalte ich mich mit jemandem, der nicht weiß, wie ich lebe und dieser Jemand bietet mir beispielsweise ein Stück Schokolade an (so letzte Woche in der Uni geschehen), sage ich meist "Ich lebe vegan". Das Wort "vegan" kennen die meisten (zumindest in studentischen Kreisen) und kann auch recht schnell einsortiert werden. So spare ich mir erst einmal mühsame Erläuterungen zu meinem Lebensstil, die auch manchmal mehr als fehl am Platze wären. Man stelle sich vor, ich säße in einem Seminar und würde meiner völlig verdatterten Kommilitonin einen zehnminütigen Vortrag über Tierrechte und christliche Nächstenliebe halten, wo sie mir doch einfach nur ein bisschen Nervennahrung in die Hand drücken wollte - irgendwie ein lustiger Gedanke. :-) Begriffe wie etwa  "vegetarisch" oder "vegan" erleichtern also erst einmal die Kommunikation, sie machen (mehr oder weniger) abstrakte Konzepte greifbarer. Auf der anderen Seite verwässern und versimplifizieren sie diese aber auch, indem eine Schublade aufgemacht wird, in die man alles hineinstopft, was da "irgendwie" reinpasst.
Dem ein oder anderen sagen eventuell die Begriffe "Signifikant" und "Signifikat" etwas. Der Signifikant ist das Bezeichnende, in diesem Falle "vegan", das Signifikat wäre... ja, was wäre denn das Signifikat? Hier stoßen wir bereits auf ein Problem. Was soll denn "das Vegane", "der Veganismus" oder "der Veganer" sein? Man hat so eine grobe Vorstellung, aber eine konkrete Antwort ("DAS ist vegan") gibt es m. E. nicht. Ein Lebensstil, bei dem auf Tierleid verzichtet wird? Irgendwie ja. Aber für mich trifft es das bei Weitem nicht. Wenn nun also jemand sagt "Ihr Veganer", dann meint er damit vor allem das, was er in der Schublade "vegan" verstaut hat. Sagt jemand, er lebe "vegan", so wird diese Aussage sofort mit dieser Checkliste verknüpft und eine Zuschreibung vorgenommen. "Die sagt, sie lebt vegan, also tut sie x" - ungeachtet der Tatsache, dass "Veganismus" für mich vielleicht etwas ganz anderes bedeutet.
Diese Schubladen machen die Einordnung leichter und können im alltäglichen Umgang miteinander nur schwer vermieden werden. Sie verleiten aber auch dazu, den anderen mit einem Stempel zu versehen, den er vielleicht gar nicht haben möchte.

Kurz: Ich bin nicht "ihr Veganer", nicht "wir Veganer", ich bin erst einmal ein Mensch, der sich entschieden hat, sich nicht an der Ausbeutung anderer Lebewesen beteiligen zu wollen. Das Wort "vegan" kommt dieser Einstellung nur einfach am nächsten, muss aber immer wieder hinterfragt werden.

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